Wir sind es gewohnt, neugierig zu sein, Menschen zu beobachten, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dieses Interesse an anderen und den Wunsch, sich in jemanden hineinzuversetzen, hat viel mit Empathie zu tun. Doch was hat das Ganze mit Design zu tun und welche Rolle spielt Empathie in unserer Arbeit?
Der Begriff Empathie setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern "en", was so viel wie "drin" oder "in" bedeutet und "pathie", was mit "leiden" oder "fühlen" übersetzt werden kann. Es geht also um das Hineinfühlen in einen anderen Menschen. Ihren Ursprung findet die Empathie im sogenannten Fürsorge-System, ein uns angeborenes Motivsystem, das beim Empfinden von Empathie aktiviert wird. Es gewährleistet, dass das Umsorgen des Nachwuchses auf den Sorgenden belohnend wirkt – das ist nicht nur so ein Gefühl, sondern geht tatsächlich mit biochemischen Prozessen einher. Die Hormone Dopamin, Oxytocin und körpereigener Opiate werden dabei freigesetzt. Das Umsorgen hat auf uns eine beruhigende, belohnende Wirkung.
Empathie wird uns in die Wiege gelegt und so ist es für uns fast schwieriger, nicht emphatisch zu sein als emphatisch zu sein. Der Vorgang des Hineinversetzens läuft größtenteils unbemerkt und in Bruchteilen von Sekunden ab. Dabei spielen vor allem Aufmerksamkeit und eine differenzierte Wahrnehmung, insbesondere nonverbaler Signale, eine große Rolle. Meint mein Gegenüber was er oder sie sagt oder drückt seine oder ihre Körperhaltung etwas ganz anderes aus? Wir lernen schon früh Mimik und Gestik anderer Menschen zu deuten und schöpfen auch im Alltag aus unserem immer weiter wachsenden Erfahrungsschatz.
Was hat in ähnlichen Projekten bereits gut funktioniert? Kennen wir die Zielgruppe bereits aus anderen Projekten? Wie kann unsere bisherige Expertise einfließen? Unsere beruflichen Erfahrungen spielen eine große Rolle am Anfang eines jeden Projekts. Empathie kann uns helfen, über den Tellerrand unserer bisherigen Erfahrungen hinauszublicken und neue Erkenntnisse über unsere Kunden und die Nutzer des zu gestaltenden Produkts zu gewinnen.
Beim Briefing versetzen wir uns zunächst in den Kunden hinein und versuchen, seine Interessen und Ziele zu erkennen und nachzuvollziehen. Im Anschluss stehen die Nutzer im Mittelpunkt unseres Designs, also die Personen, die mit dem neuen Produkt (Website, App, Printprodukt etc.) interagieren und dieses benutzen sollen. Ihre Bedürfnisse und Wünsche geben uns wichtige Hinweise auf die Anforderungen an unsere Gestaltung. Dabei spielen soziologische Fakten wie Alter, Geschlecht, Beruf und kultureller Hintergrund, aber auch emotionale Faktoren wie individuelle Abneigungen, Motivationen oder auch die Technikaffinität der Zielgruppe, eine Rolle.
Wir starten neue Projekte deshalb in der Regel mit einem initialen Kick-off-Workshop. In diesem wird gemeinsam mit dem Kunden unter anderem der Status Quo analysiert, die Zielgruppe definiert und Ziele für das Produkt formuliert.
Um unsere Zielgruppe zu definieren, arbeiten wir unter anderem mit Personas und Nutzerszenarien. Sie helfen, ein klares Bild der Zielgruppe zu gewinnen. Eigenschaften und Merkmale der Zielgruppe werden in mehreren fiktiven Charakteren zusammengetragen.
Personas beinhalten Anforderungen an das Produkt und fungieren als Bindeglied, das hilft, ein gemeinsames Bild vom Nutzer zu bekommen. Das vereinfacht die Kommunikation zwischen allen am Designprozess Beteiligten und kann zur Überprüfung von Entwürfen dienen:
- Löst diese Funktion das Problem unseres Charakters XY?
- Ist diese Nutzerführung für unseren Charakter XY hilfreich?
Nutzerszenarien arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip: Sie beschreiben, in Bild- oder Textform, den typischen Nutzungskontext einer Person und zeigen so Probleme, Bedürfnisse und Gewohnheiten der Zielgruppe auf. Durch Nutzerszenarien ergeben sich konkrete Anforderungen, die das Tool leisten muss.
Trotz aller Empathie sind Personas und Nutzerszenarien nur Annahmen, die es durch weitere quantitative (Zahlen und Fakten) sowie qualitative Daten (Befragungen, Beobachtungen, Durchführung von Nutzertests etc.) zu ergänzen gilt. Durch das Zusammenspiel von unseren empathischen Methoden und den erhobenen rationalen Daten erhalten wir ein umfassendes Bild unserer Zielgruppe und können sichergehen, dass unsere Gestaltung bestmöglich auf die Nutzer angepasst ist.
Empathie spielt also von Anfang an eine große Rolle im Designprozess. Sie hilft uns, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sowohl auf bisherige Erkenntnisse und Erfahrungen zurückzugreifen als auch neue Erkenntnisse zu sammeln und diese in das Produkt einfließen zu lassen. Nur durch sie lernen wir unsere Kunden und Nutzer besser kennen, so dass unsere Gestaltung nicht nur ästhetisch ist, sondern maßgeschneiderte visuelle Kommunikation.
Autorin: Laura Völker